Fachpolitische Jahreskonferenz 2024

Podiumsdiskuss

Inklusion ist ein Menschenrecht: Wie sichern wir die Rechte geflüchteter Menschen mit Behinderung in Deutschland?

Datum: 6. November 2024
Ort: Französische Friedrichstadtkirche, Gendarmenmarkt, Berlin

Berlin – Die Jahreskonferenz des Arbeitsbereichs Crossroads von Handicap International e. V. (HI) beschäftigte sich erneut mit aktuellen rechtlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen geflüchteter Menschen mit Behinderung in Deutschland. Mehr als 250 Teilnehmende waren der Einladung nach Berlin gefolgt. Betroffene und Expert*innen aus Politik und Zivilgesellschaft diskutierten auch im Hinblick auf die deutschen Gesetzesanpassungen auf Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und den Möglichkeiten sich intersektionaler Diskriminierung entgegenzustellen.

HI-Geschäftsführerin Dr. Inez Kipfer-Didavi begrüßte die Anwesenden gemeinsam mit der Crossroads-Leiterin Dr. Susanne Schwalgin. Beide betonten dringend notwendige strukturelle Reformen, um nach Deutschland Geflüchteten mit Behinderung Teilhabe und ein würdevolles Leben auf Grundlage der EU-Aufnahmerichtlinie und der UN-Behindertenkonvention (UN-BRK) zu ermöglichen.

Sophia Eckert, Referentin für Flucht und Migration bei Crossroads HI erläuterte zum Auftakt welche gesetzlichen und behördlichen Entwicklungen sich im letzten Jahr für die Betroffenen verändert haben. Dabei sieht Eckert insbesondere Geflüchtete mit Behinderung benachteiligt, die ohnehin schon mit Teilhabebarrieren und Hürden bei der Wahrnehmung ihrer Rechte gefordert sind, so die Juristin. Die verschiedenen gesetzlichen Verschärfungen, im Asylbewerberleistungsgesetz vor allem in Bezug auf Heil- und Hilfsmittel, betreffen zudem auch die Teilhabe- und Pflegeleistungen, den Ausschluss vom Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit bei behinderungsbedingter Erwerbsminderung- bzw. unfähigkeit sowie die Ausweitung der Liste sogenannter sicherer Herkunftsländer, durch die noch mehr Menschen mit Behinderung als vorher von Abschiebungen bedroht sind. Eckert weiß, sie kollidierten allesamt mit den Vorgaben der UN-BRK. Als erfreuliche Entwicklung erwähnte sie lediglich ein Urteil des Bundessozialgerichts, gemäß dem ein Anspruch auf medizinische Behandlung auch über den Notfall zu gewähren ist.

„Vulnerabilitäten der Menschen identifizieren und Versorgungsansprüche normieren“

Eckert thematisierte anschließend die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur GEAS-Reform. Der Entwurf des Bundesinnenministeriums gehe „über den europarechtlich geforderten Rahmen hinaus und widerspricht der UN-BRK“. Sie sieht insbesondere die geplante Ausweitung von Migrationshaft und haftähnlicher Unterbringung kritisch; ebenso seien klare europarechtliche Versorgungsansprüche nicht umgesetzt worden, wohl aber weitere sozialrechtliche Sanktionen. Die Expertin forderte Nachbesserungen in der am selben Tag beendeten Ressortabstimmung und im parlamentarischen Verfahren. In ihrem Plädoyer forderte sie die Bundesregierung und den Gesetzgeber auf „Vulnerabilitäten der Menschen zu identifizieren und Versorgungsansprüche zu normieren“.

Betroffene, darunter viele aus der Ukraine, berichteten von ihrem persönlichen „Kampf mit den deutschen Behörden“ und den langen Wartezeiten, beispielsweise beim Sozialamt. Das konnte die Göttinger Fachanwältin für Asyl- und Aufenthaltsrecht Claire Deery aus ihrer Praxis bestätigen und sprach von derzeitigen Terminvergaben zwischen drei und 18 Monaten, die für Geflüchtete mit Behinderung und deren dringende Bedarfe „katastrophal“ seien.

„Die Bundesregierung ist gefordert, wie nie zuvor“

Deery war Teil der Panel-Diskussion, die durch Dr. Annette Tabbara vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Corinna Rüffer von Bündnis90/Die Grünen und Kaushik Krishnamoorty vom Regierungspräsidium Gießen komplettiert wurde. „Die Bundesregierung ist gefordert, wie nie zuvor“, erklärte Tabbara.

Alle Teilnehmenden konnten sich in fünf angebotenen Workshops austauschen, bevor der Tag mit einem Vortrag über Ableismus und Rassismus von Prof. Dr. Robel Afeworki Abay von der Alice Salomon Hochschule in Berlin endete. Crossroads-Leiterin Schwalgin dankte der Evangelischen Akademie Berlin, die es ermöglichte, die Jahreskonferenz erneut in der Französischen Friedrichstadtkirche auszurichten.


Podiumsdiskuss

Foto: Crossroads HI/Rouven Brunnert