Offener Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser: geflüchtete Menschen mit Behinderungen und pflegende Angehörige nicht vergessen!

In einem Offenen Brief von „NOW! Nicht ohne das Wir“ an Nancy Faeser appelliert die Gruppe aus Selbstvertreter*innen an die Bundesinnenministerin, auch geflüchtete Menschen, die eine Behinderung haben, und deren pflegende Angehörigen bei der Neuregelung des Staatsangehörigkeitsgesetz zu berücksichtigen.

Berlin, 15.12.2022

Sehr geehrte Frau Ministerin, 

gerade sind Sie dabei, die Fragen von Staatsangehörigkeit und Einbürgerung in einem Gesetz neu zu regeln. Dabei droht eine Gruppe vergessen zu werden: Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen. Als Gruppe NOW! Nicht ohne das Wir wenden wir uns mit der Bitte an Sie, Menschen mit Behinderungen und ihre pflegenden Angehörigen nicht zu vergessen. Im derzeitigen Gesetzesrahmen wird deren Situation nicht ausreichend berücksichtigt. 

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen und ihre pflegenden Angehörigen stoßen derzeit auf große Probleme, wenn sie versuchen, eine Staatsbürgerschaft zu bekommen. Der Grund dafür ist, dass in der aktuellen Gesetzeslage ihre Lebenswirklichkeit zu wenig abgebildet ist. Die für eine Einbürgerung zu erbringenden Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung sowie des Spracherwerbs sind sowohl für Menschen mit Behinderungen als auch für ihre pflegenden Angehörigen oft nicht erfüllbar. Grund dafür sind zahlreiche Barrieren, die den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verstellen, ein lückenhaftes Sprachlernangebot für Menschen mit Behinderungen und nicht zuletzt die großen Herausforderungen, die die Pflege eines Angehörigen mit sich bringt. Der derzeitige gesetzliche Rahmen (§10 StAG) zur Einbürgerung berücksichtigt diese besondere Situation beider Gruppen nicht genügend. 

So ist eine Inanspruchnahme von Sozialleistungen unschädlich, wenn der Antragsteller diese „nicht zu vertreten hat“ (§ 10 Abs. 1. StAG) Im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen führt diese Formulierung aber oft zu Problemen. Ausländerbehörden gehen in vielen Fällen von der gesundheitlichen Situation von Antragssteller*innen und ihrer theoretischen Erwerbsfähigkeit aus. Vorhandene Barrieren beim Zugang in den ersten Arbeitsmarkt werden dabei oft übersehen. Das hat z. B. Auswirkungen auf Personen, die zwar erwerbsfähig, aber auf einen Rollstuhl angewiesen sind, und deren Bewerbungen auf Grund fehlender Barrierefreiheit potentieller Arbeitsplätze oft nicht berücksichtigt werden. Lückenhafte Sprachkursangebote für Menschen mit Behinderungen erschweren einen Arbeitsmarktzugang zusätzlich. 

Die herausfordernde Situation pflegender Angehöriger wird im Gesetz derzeit leider gar nicht erwähnt. Pflegende Angehörige haben keine Kapazitäten um Vollzeit zu arbeiten, wodurch sie ebenfalls häufig nicht ihren eigenen Lebensunterhalt sichern können. Die Pflege von Angehörigen ist oft sehr anspruchsvoll und benötigt viel Kraft und Zeit. Das wirkt sich auch auf den Besuch von Sprachkursangeboten und das Erlernen der deutschen Sprache mit dem erforderlichen Lernziel B1 aus. Auch hier fehlen im Gesetz derzeit Ausnahmen, welche die Lebenswirklichkeit der Gruppe der pflegenden Angehörigen von Menschen mit Behinderungen abbilden. 

Was muss sich ändern? 

Wir wünschen uns in der aktuellen Gesetzesinitiative zur Einbürgerung ein klares Bekenntnis zur Existenz von Geflüchteten mit Behinderungen und die Anerkennung der oft sehr fordernden Tätigkeit pflegender Angehöriger. 

  1. Pflegende Angehörige sollten von Lebensunterhaltssicherung und dem Erreichen des Sprachlernziels B1 ausgenommen werden. So wird Pflege als wichtige Arbeit gewürdigt und eine Benachteiligung auf Grund einer privaten Pflegetätigkeit vermieden. 
  2. Bei der Entscheidung über die Anwendung von Ausnahmen bei der Lebensunterhaltssicherung für Menschen mit Behinderungen muss das Vorhandensein von Barrieren im Arbeitsmarktzugang Berücksichtigung finden. Die derzeitigen Gesetzesformulierungen sollten diesbezüglich konkretisiert werden. 

Über die Selbstvertretungsgruppe „NOW! Nicht ohne das Wir“

Wir, die Selbstvertretungsgruppe „NOW! Nicht ohne das Wir“, setzen uns für die Inklusion von Geflüchteten mit Behinderung ein. Sie sollen zu Deutschland dazugehören. Außerdem sollen sie ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben führen. Das ist das Ziel von „NOW! Nicht ohne das Wir“.