Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz begeht 25-Jähriges

Panel-Diskussion mit Moderatorin und vier Teilnehmenden.

Berlin – Mit Handicap International als mitveranstaltende Organisation blickt das Symposium auf eine bewegte Geschichte zurück. In einer Zeit, die von internationalen Krisen, politischen Spannungen und tiefen Meinungsverschiedenheiten geprägt sind, gewinnt der gemeinsame Austausch an Bedeutung. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, Räume zu schaffen, in denen konstruktiv über eine menschenrechtsbasierte Asylpolitik und ein respektvolles Miteinander gesprochen wird.

Das Berliner Symposium bietet dafür seit 25 Jahren eine verlässliche Plattform – und setzt auch in diesem Jubiläumsjahr ein starkes Zeichen für Dialog, Solidarität und menschenwürdigen Flüchtlingsschutz. Handicap International ist auf der gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Berlin und 13 weiteren Organisationen ausgerichteten zweitägigen Veranstaltung in der Friedrichstadtkirche mit Sophia Eckert und Danila Zizi vertreten. Beide sind Expertinnen zum Thema Menschenrechte und Flucht und setzen sich schon seit geraumer Zeit für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und Geflüchteten ein. Eckert ist als Referentin für das Programm Crossroads bestens mit der deutschen Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik vertraut; Zizi kommt als Landesdirektorin von Handicap International in Syrien eigens nach Berlin, um über den aktuellen Stand nach dem Fall des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 zu berichten. 

Zerstörtes Syrien: Die Zivilgesellschaft ist müde aber willens 

Nach 14 Jahren Krieg steht Syrien vor einem Neubeginn. Wenngleich seither weit über eine Million Menschen zurückgekehrt sind, bleibe die Sicherheitslage angespannt und der Transformationsprozess zäh, so Zizi. Vielen Rückkehrer*innen böte sich in Teilen des Landes ein Bild der Zerstörung. Das bekannte Zuhause gäbe es in der Regel so nicht mehr; die Dörfer lägen zumeist in Trümmern und die Versorgungslage mit Lebensmitteln oder medizinisch sei extrem schwierig. 

„Es fehlt das, was nötig ist, um überhaupt über den Tag zu kommen“, so Zizi. Aber „die Zivilgesellschaft lebt. Sie wollen das Land verändern und wiederaufbauen. Handicap International kann sie dabei unterstützen.“ Zu den Aufgaben von Handicap International und Zizis Team gehört es auch, die Regionen und Dörfer von der Kontaminierung mit Blindgängern zu befreien und die Menschen über die lauernden Gefahren aufzuklären. „Immer noch verunglücken Zivilistinnen und Zivilisten aufgrund von explosiven Kriegsresten. Immer noch verlieren zu viele Menschen ihre Gliedmaßen oder ihre Leben durch diese Bedrohung. In den vergangenen sechs Monaten gab es rund 1.000 gemeldete Unfälle mit Minen. 451 endeten tödlich.“ 

Syrien sei derzeit noch weit weg von demokratischen Strukturen und durchliefe einen „schmerzlichen Prozess“. „Nur wenn wir alle unserer Arbeit nachgehen können, können die Menschen wieder in ihre Dörfer zurückkehren, Häuser aufbauen und das Land bewirtschaften. Die Menschenrechte müssen gesichert und die Frauen in ihren Rechten gestärkt werden“, wünscht sich Zizi für die Zukunft des Landes. 

„Krank, schutzbedürftig und trotzdem abschiebbar?“  

Viele Syrer*innen und Menschen mit Behinderungen haben in den vergangenen Jahren Schutz in Deutschland gefunden. Allerdings ist das Geltendmachen von Behinderungen als Grundlage für die Schutzgewährung hierzulande mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die mangelnde Berücksichtigung von Behinderungen als Schutzgrund und die hohen Anforderungen an Nachweise durch die Betroffenen „verstoßen in vielen Fällen gegen geltendes Recht, wie die Vorgaben aus der UN-Behindertenrechtskonvention und die europäischen Garantien für vulnerable Schutzsuchende“, erklärt Sophia Eckert.

Im Arbeitsforum „Krank, schutzbedürftig und trotzdem abschiebbar?“ berichtet sie für Crossroads über den rechtlichen Rahmen und „gravierende Lücken“ im deutschen System, wenn es um die Erkennung und Anerkennung körperlicher, geistiger, seelischer und Sinnesbeeinträchtigungen im Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren geht.   

Fehlende Standards zur Identifizierung von Behinderungen im Asyl- und Aufnahmesystem 

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen – etwa mit chronischen Erkrankungen, psychischen Beeinträchtigungen, Autismus, Gehörlosigkeit oder anderen Beeinträchtigungen – gelten als besonders schutzbedürftig. Und doch sind sie immer wieder von Abschiebung bedroht. Schutz wird versagt, weil Atteste nicht anerkannt, Bedarfe zu spät oder gar nicht festgestellt und die Lage in den Herkunftsländern realitätsfern eingeschätzt wird, so Eckert. Das führe dazu, dass Abschiebungen in Länder drohen, die nicht sicher seien und in denen Menschen mit Behinderungen nicht versorgt würden oder isoliert am Rande der Gesellschaft leben müssten. 

Referentin Sophia Eckert, stehend am Laptop den Zeigefinger erklärend hebend.
Sophia Eckert, Referentin Flucht und Migration im Programm Crossroads. (C) Handicap International/Rouven Brunnert

Eckert fordert dringend benötigte einheitliche Verfahren zur Identifizierung von Behinderungen , die gesetzlich verankert und mehrstufig aufgebaut sein sollten, um Vulnerabilitäten zuverlässig zu erkennen. „Eine frühzeitige Identifikation direkt nach der Ankunft ist die Voraussetzung dafür, dass Betroffene in Deutschland den Schutz erhalten, der ihnen im Asyl- und Aufnahmeverfahren tatsächlich zusteht.“ 

„Menschen fliehen nicht, weil sie fliehen wollen, sie fliehen, weil sie müssen, und ihre Bedürfnisse werden systematisch übersehen“, kritisiert Eckert. Behörden und Gesetzgeber sind verpflichtet, die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zwingend für die nationale Gesetzgebung und Gesetzesauslegung heranziehen, die Deutschland und die EU ratifiziert und in ihre eigene Rechtsordnung übernommen haben,. Wichtig sei vor allem, realistische Anforderungen an die Ausstellung von Attesten und Bescheinigungen zu formulieren. Eckert empfiehlt zudem die gesetzliche Klarstellung der Sachaufklärungspflicht und fordert eine/n Sonderbeauftragte/n für Menschen mit Behinderungen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

Diskussionsrunde: Sophia Eckert von Crossroads, Ärztin Dr. Luciana Degano Kieser von Zentrum Überleben, Aktivist Rex Osa von Refugee4Refugees.
(v.l.n.r.) Sophia Eckert von Handicap International – Crossroads, Ärztin Dr. Luciana Degano Kieser von Zentrum Überleben, Aktivist Rex Osa von Refugee4Refugees. (C) Handicap International/Rouven Brunnert

Weitere Informationen:

25. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz – Evangelische Akademie zu Berlin

Syrien | Handicap International

Positionspapiere und Stellungnahmen – Projektseite: Crossroads