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Grundlegende Informationen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Einleitung: Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Das heutige Konzept von Teilhabe für Menschen mit Behinderung ist im historischen Vergleich noch jung. Dieses Kapitel enthält eine Begriffsdefinition und stellt die historische Entwicklung von Teilhabe und zentrale Anlaufstellen im Internet vor. Außerdem erklären die Sozialhelden, wie Sie mit Menschen mit Behinderungen umgehen sollten – und wie auf keinen Fall.

Video: "Vorurteile über Behinderung - Schluss damit!"

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Definition und Reflektion zum Begriff der Teilhabe und zentrale Anlaufstellen zum Thema

Der Begriff der Teilhabe ist noch relativ jung. Er entstand im Zug eines Paradigmenwechsels: von der passiven Fürsorge und Versorgung von Menschen mit Behinderung hin zu deren aktiver Mitbestimmung. Dies ist ein normativer Prozess, der die Sozialgesetzgebung für Menschen mit Behinderung beeinflusst und der sich stetig entwickelt: Zahlreiche Rechte, aber auch das Menschenbild, das heute viele von Menschen mit Behinderung haben, waren vor 60 Jahren in Deutschland undenkbar.

Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist mit der Definition der World Health Organization (WHO) im Jahr 2001 erstmals in Deutschland ins Bewusstsein gerückt. Bis dahin hatte die WHO Behinderung eindimensional definiert: Aus einer persönlichen Beeinträchtigung (impairment) entstand eine Funktionsbeeinträchtigung (disability), die zu einer sozialen Beeinträchtigung (handicap) führt.

Seit 2001 wird Behinderung hingegen als das Ergebnis einer negativen Wechselwirkung zwischen der Beeinträchtigung einer Person und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die deren Teilhabe verhindern, verstanden.

Teilhabe ist als sozialpolitisches Konzept für Integration, Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Mitwirkung definiert: Teilhabe bedeutet, dazuzugehören statt dabei zu sein. Teilhabe ist die Übersetzung des englischen Begriffs participation – klingt im Deutschen aber vielleicht nicht ganz so aktiv wie das englische Original. Es gibt in der Behindertencommunity deshalb unterschiedliche Auffassungen darüber, ob das Konzept der Mitwirkung im Begriff Teilhabe stark genug verwirklicht ist.

Teilhabe kann in dieser Lesart bedeuten, dass Menschen mit Behinderung ein Gebäude barrierefrei betreten können. Partizipation bedeutet, dass sie bei der Planung des Gebäudes mitentscheiden. Mit beiden Begriffen verbunden ist in jedem Fall aber eine Selbstwirksamkeitserwartung: Was ich tue, zählt, meine Meinung wird gehört.

Der Begriff Teilhabe ist eng mit dem der „Inklusion“ verknüpft: Inklusion ist weniger ein eigenes Ziel als vielmehr ein Mittel: Damit Menschen mit Behinderung in allen für sie relevanten Lebensbereichen selbstbestimmt teilhaben können, braucht es Inklusion. Inklusion ist das Mittel und Teilhabe das Ergebnis. Und obwohl Inklusion ein Mittel ist, geht sie über das bloße Dabeisein hinaus: So argumentiert zum Beispiel die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), dass mit Inklusion nicht vorrangig die formale Zugehörigkeit gemeint ist, sondern das Zugehörigkeitsgefühl: Menschen mit Behinderung müssen spüren können, dass sie dazu gehören. Jedoch ist dieses Gefühl für viele Menschen mit Behinderung in Deutschland noch nicht Realität.

Damit wird deutlich, dass der Begriff der Teilhabe eine normative Forderung ist, der die gesellschaftliche, politische und sozialrechtliche Realität noch nicht vollends entspricht. Das Konzept des Anders- beziehungsweise Fremdmachens, das sogenannten Othering, spielt hier eine große Rolle. Othering bezeichnet die Distanzierung der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt (Eigengruppe), von anderen Gruppen. Im Fall der Gruppe der Menschen mit Behinderung sind sie „die Anderen“, die auch einen Platz am Tisch beanspruchen, einen vollwertigen Status des Dazugehörens.

Zur Manifestierung des Andersseins trägt dabei auch der Begriff der Behinderung selbst bei: Er spiegelt eine Defizit- und keine Ressourcenorientierung wider, eine Minusbilanz, unabhängig davon, ob damit Menschen, Strukturen oder Umwelt gemeint sind. Dasselbe gilt für die Begriffe „Versorgung“, „Behindertenhilfe“, „Eingliederungshilfe“ (die sozialrechtliche Leistungsansprüche für Menschen mit Behinderung definieren).

Das Konzept der Teilhabe will dieses Anders- und Behindertsein normalisieren und später sogar auflösen – und das auf allen Ebenen: politisch, rechtlich und gesellschaftlich. Ein Indikator für dessen Gelingen ist dabei, dass sich der Begriff der Teilhabe gegenüber anderen Bezeichnungen wie zum Beispiel „Behindertenhilfe“ nach und nach durchsetzt.

Doch bis zu einer vollständigen Verwirklichung von Teilhabe ist es noch ein langer Weg. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat im Jahr 2014 eine Umfrage durchgeführt, unter anderem zur Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung. Weniger als zehn Prozent der Befragten trauen Menschen mit geistiger Behinderung die uneingeschränkte Teilhabe bei Wohnen, Schule, Urlaub und Arbeit zu.

Das ist erschreckend wenig, und es zeigt eine wechselseitige Problematik: You can‘t be what you can‘t see – was wir uns nicht vorstellen können, das können wir nicht werden, dafür können wir nicht kämpfen. Und wofür wir nicht kämpfen können, das können wir nicht erreichen.

Aber wir können anfangen. Wir können uns etwas vorstellen, dass es noch nicht gibt, für etwas kämpfen, dass es noch nicht gibt – und wie im vorliegenden Fall über etwas informieren, das es vorher noch nicht gab: Mit der Roadbox von Handicap International informieren wir umfassend über Teilhabemöglichkeiten und Rechte von und für geflüchtete Menschen mit Behinderung – und tragen damit zur deren Erreichung bei.

Praktische Tipps für den Umgang mit Menschen mit Behinderung

Von Judyta Smykowski und Uwe Nicksch, Sozialhelden

Konkrete Handlungsempfehlungen für den Kontakt mit behinderten Menschen

Nichtbehinderte Personen, die bislang keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung hatten, können verunsichert sein, wenn sie das erste Mal auf Menschen mit Behinderung treffen.

Wir haben einige Tipps und Hinweise, die eine Kontaktaufnahme erleichtern. Das Wichtigste vorab: Jeder Mensch ist ein Individuum und verhält sich entsprechend individuell. Den typischen Menschen mit Behinderung gibt es genau so wenig wie den typischen Menschen ohne Behinderung. Eine sehr entscheidende Frage ist: Wie möchte ich von Außenstehenden behandelt und akzeptiert werden? Dementsprechend sollten auch Mitmenschen behandelt werden.

Menschen, die eine Behinderung haben, fallen manchmal etwas mehr auf – sei es durch Hilfsmittel wie den Rollstuhl oder den Taststock oder auch durch eine andere Körperform/-haltung oder eine andere Stimme.

Im Gespräch ist es für Menschen mit Behinderung oft anstrengend, ständig auf die eigene medizinische Diagnose oder die Behinderung einzugehen. Sie sind nämlich nur ein Teil der Person und es gibt viele andere interessante Dinge in Gesprächen zu erfahren.

Kinder sind oft eher neugierig und schauen gespannt auf die Hilfsmittel. Ihre Fragen und Blicke sind für viele Menschen mit Behinderung in Ordnung – denn Ziel ist es, Kinder zu offenen Menschen zu machen. Sie sollen sehen und erfahren, dass die Gesellschaft aus vielen unterschiedlichen Menschen besteht.

Weiterführende Links zu YouTube, Medien, Artikeln und anderen Quellen

Historische Entwicklung des Umgangs mit Behinderung in Deutschland

Der Umgang mit Menschen mit Behinderung erlebte in Deutschland seit den 1960er Jahren einen Paradigmenwechsel: Von der Verwaltung und Aufbewahrung von Menschen mit Behinderung hin zu einem menschenzentrierten Verständnis von Inklusion und Teilhabe. Dieser Prozess von der Defizit- zur Ressourcenorientierung, von der Bevormundung und Fürsorge hin zu Selbstbestimmung und selbstverständlicher Teilhabe ist bei Weitem nicht abgeschlossen – dennoch haben Menschen mit Behinderung in den vergangenen 60 Jahren mehr Rechte gewonnen.

1933 bis 1945: Systematische Vernichtung von Menschen mit Behinderung

Im Jahr 1933 tritt das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Kraft. Das Gesetz sieht die „Zwangssterilisierung erblich kranker Menschen“ vor. 1935 folgt das Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes. Sie sind im Nationalsozialismus die Grundlage der menschenfeindlichen Gesinnung gegenüber Menschen mit Behinderung und leiten deren systematische Vernichtung ein. Mit der sogenannten Aktion T4 wurden von 1940 bis 1941 mehr als 70.000 Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung ermordet; Aktion T4 war der Tarnname der dafür zuständigen Institution in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Die Ermordungen waren Teil der sogenannten Krankenmorde, denen bis 1945 mehr als 200.000 Menschen zum Opfer fielen.

Menschen mit Behinderung wurden mit Medikamenten, Nahrungsentzug oder folternden medizinischen Tests gequält, bis zu 400.000 wurden zwangssterilisiert. Im Nürnberger Ärzteprozess (1946–1947) wurden einige wenige Ärztinnen und Ärzte wegen ihrer Beteiligung am „Euthanasieprogramm“ verurteilt; sie hatten vor allem in Konzentrationslagern gearbeitet.

Das Erbe des Nationalsozialismus wirkte lange fort: Erst 2007 erreichte der Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten, dass der Bundestag die nationalsozialistischen Gesetze zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als von Anfang an nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar und deshalb für ungültig erklärte. Erst im Jahr 2014 wurde der Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie-Morde“ in Berlin eröffnet.

1953: Die Ausgleichsabgabe wird eingeführt

Das sogenannte Schwerbeschädigtengesetz regelt unter anderem die Feststellung einer Schwerbehinderung. Erstmals werden damit Nachteilsausgleiche und die Verpflichtung von Arbeitgebern zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung eingeführt. Im Laufe der Zeit wird das Gesetz zum Schwerbehindertengesetz und war bis 2001 in Kraft. Dennoch wurde das Schwerbehindertengesetz erst im Jahr 1974 dahingehend geändert, dass staatliche Unterstützungsleistungen zum ersten Mal nicht mehr von der Ursache, der Art und dem Umfang der Behinderung abhingen. 1986 wurde in einem zweiten Schritt die Beurteilung der Behinderung verändert: Statt nach dem „Grad der Erwerbsminderung“ wurde nun nach dem „Grad der Behinderung“ eingestuft. Nun stand nicht mehr allein die Frage nach der Leistungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt im Zentrum der Beurteilung, sondern es wurden auch individuelle und soziale Aspekte einbezogen.

1958: Gründung der Lebenshilfe

Der gemeinnützige Verein Bundesvereinigung Lebenshilfe wurde im Jahr 1958 gegründet. Er versteht sich als Selbsthilfevereinigung und als Eltern-, Fach- und Trägerverband für Menschen insbesondere mit geistiger Behinderung und ihre Familien. Fünfzehn Fachleute und Eltern gründeten die Bundesvereinigung Lebenshilfe als Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind e. V. 2019 hatte der Verband 121.000 Mitglieder, davon 12.150 Menschen mit Behinderung, in 493 Orts- und Kreisvereinigungen.

1964: Gründung der Aktion Sorgenkind

Aktion Mensch (bis zum Jahr 2000 Aktion Sorgenkind) ist eine 1964 auf Initiative des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) und der Lebenshilfe hin entstandene Förderorganisation, die sich durch Lotterieeinnahmen finanziert. Neben der Förderung von Projekten setzt sie sich durch vielfältige Formen der Aufklärung und Sensibilisierung für die Umsetzung von Inklusion ein.

1965: Bayern führt die allgemeine Schulpflicht für Kinder mit geistiger Behinderung ein

1949 wird in der DDR die Beschulung von Kindern mit Behinderung geregelt, 1951 in der Bundesrepublik. In Frankfurt am Main wird 1963 die erste Schule für Kinder mit geistiger Behinderung gegründet, die allgemeine Schulpflicht folgt wenig später. Allerdings waren schwerbehinderte Kinder bis 1968 noch von der allgemeinen Schulpflicht ausgenommen.

1975: Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte behinderter Menschen

1975 erscheint die Erklärung der Rechte der behinderten Menschen. Eine der Forderungen betraf den Schutz von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung. In dieser Erklärung hieß es, dass Menschen mit Behinderungen dieselben Menschenrechte genießen wie gleichaltrige nichtbehinderte Menschen – ohne Einschränkung und unabhängig von der Art der Behinderung.

1978: „Krüppelbewegung“ lehnt sich gegen Diskriminierung auf

Ab 1978 gründeten Behindertenrechtsaktivisten sogenannte Krüppelgruppen. Ziel der Krüppelbewegung war es, eine Änderung des Blickwinkels auf Behinderung zu erreichen, Behinderung nicht als medizinisches, sondern gesellschaftliches Problem zu begreifen. Die „Krüppelbewegung” wies mit dem provokanten Wort „Krüppel“ auf die Stigmatisierung behinderter Menschen hin und erreichte unter anderem, dass 1994 das Verbot der Benachteiligung aufgrund von Behinderung im Grundgesetz verankert wurde.

1980: Aufkommen des Integrationsansatzes

Der Begriff „Integration“ leitet sich vom lateinischen Wort „integer" ab, was so viel wie „heil, vollständig, ganz“ bedeutet. Integration ist im pädagogischen Verständnis die gemeinsame Erziehung und Bildung von Menschen mit und ohne Behinderung im Sinne der Einbeziehung.

1992: Vormundschaft für Menschen mit Behinderung wird aufgehoben

Das neu verabschiedete Betreuungsgesetz stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderung: Seitdem gibt es eine Vormundschaft in Deutschland nur noch für Minderjährige. Der Umfang einer gesetzlichen Betreuung wird nun von einem Gericht festgelegt und beaufsichtigt, die bestellten Betreuer*innen sind zur Beachtung des Willens des*der zu Betreuenden verpflichtet.

1993: Verbot der Benachteiligung ist jetzt Grundrecht

In Artikel 3 Grundgesetz heißt es seit 1993 „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“.

2002: Behindertengleichstellungsgesetz regelt Teilhabe am öffentlichen Leben

2002 tritt in Deutschland das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Kraft. Wurden Menschen mit Behinderung über Jahrhunderte hinweg eher als „soziales Problem“ anstatt als gleichberechtigte Bürger*innen behandelt, so ist das Gesetz ein weiterer Schritt in Richtung Teilhabe: „Ziel dieses Gesetzes ist es, die Benachteiligung von behinderten Menschen zu beseitigen und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.“

Die wichtigsten Aussagen des BGG sind das Benachteiligungsverbot und die Pflicht zur Barrierefreiheit. Das Gesetz regelt zum Beispiel die Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude und im Nahverkehr oder den Zugang zu Informationen. Behindertenverbände, Selbstvertretungen sowie der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Jürgen Dusel, kritisieren jedoch bis heute, dass das Gesetz die Privatwirtschaft nicht einschließe und daher die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Alltag verfehle.

2006: Das Antidiskriminierungsgesetz verbietet Benachteilgung

Das Antidiskriminerungsgesetz (AGG) gilt auch für Menschen mit Behinderung. Nach Paragraf 1 verfolgt das Gesetz das Ziel, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Erstmals wurde in Deutschland ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung durch private und wirtschaftliche Akteure umfassend regelt.

Besonders im Arbeitsrecht entstehen dabei neue Regelungen: So muss zum Beispiel der Bewerbungsprozess beginnend mit der Stellenausschreibung diskriminierungsfrei sein; auch Diskriminierungen von Arbeitskolleg*innen und Arbeitgeber*innen sind strafbar. Bei Arbeitsverhältnissen haben Arbeitnehmer*innen den Anspruch auf Schutz vor Benachteiligungen. Sie können Schadensersatz oder Entschädigung verlangen und sich bei ihren Arbeitgeber*innen über Benachteiligungen beschweren.

2008: Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen tritt in Kraft

Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ist die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die UN-BRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den auch Deutschland ratifiziert hat und der die Rechte für Menschen mit Behinderug umfassend definiert. Menschen mit Behinderung werden darin nicht mehr als krank definiert, sondern als gleichberechtigte Menschen, deren Behinderung eher von außen erfolgt – durch Umwelt, Strukturen und gesellschaftliche Einstellungen. Die UN-BRK unterstreicht die Pflicht der Staaten, die Menschenrechte für Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.

Mit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland, dem Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen regelmäßig über die Maßnahmen, die sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen getroffen hat, und über die erzielten Fortschritte zu berichten.

Die Umsetzung der UN-BRK ins deutsche Recht ist umstritten: Wie alle deutschen Gesetze und andere Rechtsvorschriften müssen auch Vorschriften der UN-BRK so ausgelegt werden, dass die Auslegung nicht verfassungswidrig ist. Fraglich wäre eine Auslegung, derzufolge Deutschland jede als notwendig postulierte Maßnahme zugunsten von Menschen mit Behinderung finanzieren müsste. Denn bei einer Ausweitung des Behinderungsbegriffes und der Förderbarkeit von Maßnahmen entstünden hohe Kosten für die Leistungsträger in Deutschland. Prof. Dr. Ernst-Wilhelm Luthe, Professor für Öffentliches Recht und Sozialrecht an der Ostfalia Hochschule kommt 2015 zum dem Schluss, „(…) auf bundesrepublikanische Verhältnisse ist sie (die UN-BRK) damit nicht zugeschnitten. Rechtlich beschränkt sich die Wirkungsweise der Konvention im nationalen Rahmen auf die Funktion eines Auslegungsgrundsatzes. Rechte auf Leistungen oder politische Gestaltungspflichten enthält sie im Regelfall nicht“.

2017 bis 2023: Einführung und Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)

Auf Grundlage der UN-BRK wird die sogenannte Eingliederungshilfe neu geregelt und aus dem SGB XII (Sozialhilfe) in das SGB IX überführt. Ziel ist es, eine zeitgemäßere Gestaltung mit besserer Nutzerorientierung und Zugänglichkeit sowie eine höhere Effizienz der Eingliederungshilfe zu erreichen. Insgesamt wird mit dem Gesetz ein „Systemwechsel“ beabsichtigt, in dessen Zuge die „Eingliederungshilfe“ aus der Sozialhilfe herausgenommen und ein eigenes Leistungsrecht im Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) begründet werden soll. Dieses Leistungsrecht soll sich durch seine personenzentrierte Ausrichtung und eine ganzheitliche Bedarfsermittlung auszeichnen, auch die Unterscheidung nach ambulanten und stationären Leistungsformen wird aufgegeben.

Das BTHG regelt Ansprüche wie zum Beispiel die soziale Teilhabe, die Teilhabe am Arbeitsleben oder die Teilhabe an Bildung.

Zahlreiche Verbände äußerten Kritik am BTHG: der leistungsberechtigte Personenkreis würde eingeschränkt, die Bevormundung durch Behörden steige, durch die Kostenneutralität enstehe ein Sparzwang und der geplante Bürokratieabbau lasse sich nicht realisieren. Der Sozialverband VdK Deutschland stellte fest, dass die Behindertenpolitik „von der bevormundenden Tradition der Fürsorge bestimmt“ bleibe. „Kosteneinsparungen und die Verwertbarkeit von Arbeitsleistung stehen im Vordergrund, nicht aber die Selbstbestimmung und Bürgerrechte von Menschen mit Behinderung. Hier soll offenbar in erster Linie ein Kostenbegrenzungsgesetz und weniger ein Inklusionsgesetz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Weg gebracht werden“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

2023 tritt die vierte Stufe des BTHG in Kraft, die festhält, die Unterstützung durch Eingliederungshilfe auf die Personen zu beschränken, die mindestens in fünf von neun neu durch das Gesetz definierten Lebensbereichen Unterstützung benötigen.

FAQ Sozialleistungen und Schwerbehindertenausweis

Ausgewählte Informationen zum Thema Teilhabe im Internet

Im Internet gibt es viele hilfreiche Portale, die zum Thema Teilhabe, dem Stand der Umsetzung der UN-BRK und den damit verbundenen Reformprojekten in Deutschland informieren. Daneben bieten die Internetseiten einen Überblick über Angebote und Möglichkeiten im Bereich der Teilhabe.

Tipps zum Leben mit Behinderung allgemein

  • Das Portal „gemeinsam einfach machen“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales informiert über die UN-Behindertenrechtskonvention, über Aktionspläne zur Umsetzung und vieles andere mehr.
    https://www.gemeinsam-einfach-machen.de
  • Das Webportal des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bietet einen Ratgeber, aktuelle Informationen sowie Veranstaltungs- und Projekthinweise für Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen sowie Verwaltungen und Unternehmen.
    www.einfach-teilhaben.de
  • Der „Ratgeber für Menschen mit Behinderung“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales informiert über alle Leistungen und Hilfestellungen, auf die Menschen mit Behinderung Anspruch haben – von der Vorsorge und Früherkennung über die Schul- und Berufsausbildung und Berufsförderung bis hin zu Steuererleichterungen. In Auszügen sind die entsprechenden Gesetzestexte enthalten.
    https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a712-ratgeber-fuer-behinderte-mens.html

Informationen für Angehörige

  • Informationen und Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung und ihre Familien finden sich auf der Seite des Familienratgebers von Aktion Mensch. Alle Texte werden auch in Leichter Sprache angeboten.
    www.familienratgeber.de

Beratung für Menschen mit Behinderung

  • Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt und berät Menschen mit Behinderungen, von Behinderung bedrohte Menschen und Angehörige zu Fragen der Rehabilitation und Teilhabe. Auf ihrer Internetseite informiert sie über die Ziele und Aufgaben der Fachstellen und stellt Informationen und Materialien zu Verfügung.
    www.teilhabeberatung.de

Rechte von Menschen mit Behinderung

  • Unter der Rubrik „Informieren“ finden sich bei der Bundesvereinigung Lebenshilfe viele Informationen zum Thema Teilhabe und Inklusion, besonders zu den Rechten von Menschen mit Behinderung.
    https://www.lebenshilfe.de/informieren/

Arbeit und Behinderung

Nachrichtenportal für Menschen mit Behinderung

  • Kobinet bietet Nachrichten und Informationen zur Behindertenpolitik. Das Team des Nachrichtendienstes besteht aus Redakteur*innen, die eine Behinderung haben und/oder in der Behindertenrechtsbewegung aktiv sind.
    www.kobinet-nachrichten.org

Interessenvertretung von und für Menschen mit Behinderung

  • Die Sozialhelden arbeiten seit 15 Jahren an Lösungen für mehr Teilhabe und Barrierefreiheit. Auf ihrer Internetseite finden sich Informationen zu ihren Projekten, zum Beispiel die „Wheelmap“ (Karte zu barrierefreien Orten) und „Leidmedien“ (Sensibilisierung für inklusive Sprache), und Ideen zu dem Beratungsangebot der Sozialhelden.
    www.sozialhelden.de

Weiterführende Links

EUTB

Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt und berät Menschen mit Behinderung, von Behinderung bedrohte Menschen und Angehörige zu Fragen der Rehabilitation und Teilhabe. Auf ihrer Seite informiert die EUTB über die Ziele und Aufgaben der Fachstellen und stellt hilfreiche Infos und Materialien zu Verfügung:
www.teilhabeberatung.de

 

Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Das Webportal des Bundesministeriums für Arbeit und Soziale bietet einen Ratgeber, aktuelle Informationen sowie Veranstaltungs- und Projekthinweise für Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen sowie Verwaltungen und Unternehmen: www.einfach-teilhaben.de

 

Sozialhelden

Die Sozialhelden arbeiten seit 15 Jahren an verschiedenen Lösungen für mehr Teilhabe und Barrierefreiheit. Auf ihrer Seite finden sich zum einen Informationen zu den verschiedenen Projekten und Ideen sowie zu dem Beratungsangebot der Sozialhelden: www.sozialhelden.de

 

Kobinet

Kobinet bietet aktuelle Nachrichten und Informationen zur Behindertenpolitik. Das Team des Nachrichtendienst besteht aus Redakteur*innen, die eine Behinderung haben oder in der Behindertenbewegung aktiv sind: https://kobinet-nachrichten.org/

 

Familienratgeber

Informationen und Adressen für Menschen mit Behinderung und ihre Familien finden sich auf der Seite des Familienratgebers von Aktion Mensch. Alle Texte werden auch in Leichter Sprache angeboten: www.familienratgeber.de

 

Bundesteilhabegesetz

Informationen der Diakonie Deutschland zum Bundesteilhabegesetz: https://www.diakonie.de/wissen-kompakt/bundesteilhabegesetz-bthg

 

Besondere Kinder Regensburg

Gemeinsam für Familien mit behinderten und chronisch kranken Kindern: http://www.besondere-kinder-regensburg.de/

Downloads zum Thema

Leitfaden zur konsequenten Einbeziehung der Belange von Menschen mit Behinderung. Der Leitfaden versucht, eventuelle Auswirkungen administrativen Handelns auf Menschen mit Beeinträchtigungen frühzeitig zu identifizieren und zu berücksichtigen. Er baut auf einer im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verankerten Maßnahme auf. (2017)

Ratgeber für Menschen mit Behinderung vom BMAS (Stand 2018). Überblick zu Gesetzen, Zugang zu Leistungen, Rehabilitation, Förderung und Teilhabe.

Fußnoten

  1. WHO: Summary – World Report on Disability. 2011.
  2. Statistisches Bundesamt: Sozialleistungen – Schwerbehinderte Menschen. 2017.
  3. SGB IX Absatz 1 Begriffsbestimmungen. 2020.
  4. Statistisches Bundesamt: Sozialleistungen – Schwerbehinderte Menschen. 2017.
  5. Vgl. bpb: Behinderung und Medien – ein Perspektivwechsel. 2016.
  6. Vgl. Ebd.
  7. UN-BRK Artikel 1, 2017.

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