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Der Inhalt dieser Website wird zeitnah an die gesetzlichen Änderungen durch das sog. Rückführungsverbesserungsgesetz angepasst, das am 27.02.2024 in Kraft getreten ist. Eine Übersicht einiger Änderungen finden Sie hier.

Handlungsoptionen für geflüchtete Menschen mit Behinderung und deren Berater*innen

Einleitung: Handlungsoptionen für geflüchtete Menschen mit Behinderung

Welche rechtlichen Handlungsspielräume haben geflüchtete Menschen mit Behinderung? Wie können Berater*innen Menschen mit Behinderung und Fluchthintergrund unterstützen – hinsichtlich des Asylverfahrens, krankheitsbedingter Abschiebungsverbote und -hindernisse sowie bei der Unterbringung? Auf Grundlage welcher Rechtsquellen können sie argumentieren? Mit solchen Fragen sind Berater*innen aus der Flüchtlings- und Behindertenhilfe konfrontiert, daher zeigen wir im Folgenden Handlungsoptionen für die Beratung auf.1

Video: "Corona – Alles, was man in der Flüchtlingsberatung jetzt wissen muss!"

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Spezialisierter Beratungsleitfaden nach ICF im Kontext Flucht, Migration und Behinderung

Der ICF basierte Beratungsleitfaden wurde in einem Werkstattverfahren entwickelt und folgt der Idee, eine Strukturierungshilfe für eine (Erst-)Beratung von Menschen mit Flucht- und Zuwanderungsgeschiche und einer Behinderung zu entwickeln.

Bestimmte Anliegen, Bedarfe und Erwartungen der Ratsuchenden können sehr komplex sein und sich auf vielschichtigen Ebenen befinden, welche die Berater*innen nicht immer im Ganzen in einer Erstberatung erfassen können. Meistens suchen Ratsuchende eine Beratungsstelle mit einem bestimmten Anliegen auf. Hier bietet der Leitfaden eine zusätzliche Möglichkeit, Barrieren, fehlende Förderfaktoren und Ressourcen zu identifizieren, woraus sich weitere Handlungsempfehlungen ableiten (können). Auch kann eine Identifizierung von Barrieren erfolgen, die zwar im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung stehen aber zunächst nicht vordergründig sind oder als vordergründig erachtet werden. Um einen umfassenden Einblick zu erhalten, bietet die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) (oder auch internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Gesundheit) mit dem Bio-Psycho-Sozialen-Modell eine entsprechend fundierte Grundlage, welche sich dann auch im Bundesteilhabegesetz wiederspiegelt. Der Beratungsleitfaden enthält auch eine Einführung zum Aufbau und zum Gebrauch des Leitfadens.

Hier finden Sie den (barrierefreien) Leitfaden.

Unterstützung bei der Beschaffung von Unterlagen und Nachweisen über die Behinderung:

Berater*innen sollten zuerst klären, ob eine schutzsuchende Person über medizinische Stellungnahmen zu ihrer Behinderung verfügt. Oft werden Kosten für Besuche in ärztlichen Praxen und besonders für ärztliche Stellungnahmen am Anfang des Asylverfahrens nicht übernommen. Daher ist zu klären:

  • Hat die Person Unterlagen aus dem Herkunfts- oder einem Drittland mitgebracht?
  • Liegen ihr bereits medizinische Dokumente aus Deutschland vor?
  • Gibt es in der Nähe Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung, die für eine Stellungnahme hinzugezogen werden könnten, wenn vorerst keine medizinischen Dokumente beschafft werden können?

Ist die Beschaffung der Dokumente zunächst nicht möglich, können Berater*innen die Person dabei unterstützen, aufzuschreiben, welche Schwierigkeiten sie in der Unterkunft hat. Auf dieser Grundlage sollte versucht werden, die Kostenübernahme für einen Besuch in einer ärztlichen Praxis nach dem AsylbLG zu beantragen.

Auf die besondere Schutzbedürftigkeit aufmerksam machen

Menschen mit Behinderungen sind gemäß Artikel 21 der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU schutzbedürftige Personen2. Deutschland ist verpflichtet, zu identifizieren, welche Personen besondere Bedürfnisse haben und welcher Art diese Bedürfnisse sind (Art. 22 EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU). Dies geschieht meist nicht.
Daher sollten die zuständigen Behörden (zum Beispiel die Leitung der Aufnahmeeinrichtung, Ausländerbehörde und die länderspezifische Verteilbehörde) durch die Berater*innen auf die besondere Schutzbedürftigkeit gemäß Artikel 21 der Aufnahmerichtlinie aufmerksam gemacht werden. Dies geschieht am besten schriftlich und mit den entsprechenden Dokumenten.

Beantragung der Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung

Kann der Schutz von Menschen mit Behinderungen in einer Aufnahmeeinrichtung nicht gewährleistet werden, sollten Berater*innen bei der Zuweisungsbehörde einen Antrag auf Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung gemäß § 49 Absatz 2 AsylG stellen. Dieser beinhaltet, dass die Wohnverpflichtung aus „anderen zwingenden Gründen“ beendet werden kann.

Zwingende Gründe liegen unter anderem vor, wenn höherrangiges Recht verletzt wird. Dazu zählt zum Beispiel Artikel 28 der UN-BRK3. Er zielt ab auf das „Recht von Menschen mit Behinderungen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und ihre Familien, einschließlich angemessener Ernährung, Bekleidung und Wohnung […]“.

Für Kinder mit Behinderung sollte auch die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention4 beachtet werden. Hinzuziehen können Berater*innen schriftliche Stellungnahmen möglichst medizinischer Art.

§ 49 Absatz 2 AsylG zielt darüber hinaus auf die öffentliche Gesundheitsvorsorge als Rechtsgrund für eine Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung ab. Menschen mit Behinderung unterliegen sehr oft einem erhöhten Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken.5 Daher sollten Berater*innen die Entlassung aus einer Aufnahmeeinrichtung beantragen, sobald medizinische Stellungnahmen die Notwendigkeit der Unterbringung außerhalb der Sammelunterkunft darlegen. Entspricht die Unterbringung in einer Sammelunterkunft nicht dem Bedarf der geflüchteten Person mit Behinderung, kann ihr Schutz als schutzbedürftige Personen nicht gewährleistet werden. Dies widerspricht § 44 Absatz 2a AsylG.

Im Übrigen sind die Länder nicht verpflichtet, eine Person in einer Aufnahmeeinrichtung unterzubringen. Sie können Menschen mit Behinderung jederzeit einer Kommune zuweisen.6 Bei der Zuweisung sollte darauf geachtet werden, dass geflüchtete Menschen mit Behinderung Kommunen zugewiesen werden, die über ein Netzwerk aus Fachberatungsstellen, Selbstorganisationen und Communitys von Menschen mit Behinderungen (zum Beispiel Gehörlosenvereine) und medizinischen Versorgungsmöglichkeiten verfügen. Sie sollten daher in dem Antrag auf Zuweisung auf diese und auf andere Aspekte, zum Beispiel Barrierefreiheit, unbedingt eingehen.

Stellen eines Antrags auf Verlassenserlaubnis

Menschen, die zum Wohnen in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind, unterliegen der Residenzpflicht. Wenn „zwingende Gründe es erfordern“, kann das BAMF einer Person erlauben, den Aufenthaltsbereich zu verlassen, den § 56 AsylG festlegt. Die häufig abgeschiedene Lage von Erstaufnahmeeinrichtungen erschwert Besuche in Fachberatungsstellen oder ärztlichen Praxen . Daher sollten Berater*innen einen Antrag auf Verlassenserlaubnis stellen (§ 57 Abs. 1). Argumentieren können sie beispielsweise mit Artikel 19 Absatz 2 EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (medizinische Leistungen für besonders Schutzbedürftige) und mit Artikel 25 UN-BRK (Recht auf Gesundheit ohne Diskriminierung).

Weitere Informationen

Kompetenznetz Public Health COVID‐19

SARS‐CoV‐2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete: https://pub.uni-bielefeld.de/download/2943665/2943668/FactSheet_PHNetwork-Covid19_Aufnahmeeinrichtungen_v1_inkl_ANNEX.pdf

 

Appell von Handicap International

Geflüchtete Menschen mit Behinderung vor Corona schützen –
Infektionsrisiken senken: https://handicap-international.de/sn_uploads/de/document/Gefluchtete_Menschen_mit_Behinderung_vor_Corona_schutzen_-_Infektionsrisiken_senken.pdf

 

Appell von Handicap International

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen bedarfsgerecht unterbringen. Schutzbedarfe identifizieren: https://handicap-international.de/de/appell-gefluchtete-mit-behinderung-mussen-bedarfsgerecht-untergebracht-werden

 

Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates

Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung): https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0096:0116:DE:PDF 

 

Robert-Koch-Institut

Hinweise zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete: https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2020/06/2020-05-07-RKI-Hinweise_COVID-19_in_Unterk%C3%BCnften.pdf

Auf der kommunalen Ebene

Hinwirken auf den Einzug in barrierefreie und bedarfsgerechte Unterkunft

Nur wenige Städten haben kommunale Konzepte für die Unterbringung geflüchteter Menschen, und es fehlt an verpflichtenden Mindeststandards.7
Die Mindeststandards zum Schutz geflüchteter Menschen in Flüchtlingsunterkünften, die im Rahmen einer Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und UNICEF entwickelt wurden, verfügen über einen Annex zur „Umsetzung der Mindeststandards für geflüchtete Menschen mit Behinderungen“8. Die im Annex aufgeführten Forderungen sind zwar nicht verpflichtend, können von Berater*innen aber für die Argumentation für eine bedarfsgerechte Unterkunft herangezogen werden.

Artikel 28 der UN-BRK9 beinhaltet das „Recht von Menschen mit Behinderungen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und ihre Familien, einschließlich angemessener Ernährung, Bekleidung und Wohnung […]“ Liegt eine Verletzung dieses Rechts vor, sollten Berater*innen bei der kommunalen Behörde auf einen Umzug hinwirken.10

Unterstützung bei der Wohnungssuche

Oftmals ist die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften mit einem Mangel an Autonomie, Rückzugsmöglichkeiten, Barrierefreiheit und anderen Stressfaktoren verbunden. Darum sollte die Unterbringung geflüchteter Personen mit Behinderung in Wohnungen bevorzugt werden. Gem. § 53 Abs.1 AsylG sind auch „Belange des Ausländers“ zu berücksichtigen. Kann dessen Unterbringung nicht bedarfsgerecht erfolgen, sollten Berater*innen dies anzeigen und die Erlaubnis der Behörde einholen, dass die Person ausziehen darf.

In Kommunen, die keine Wohnungen bereitstellen, gibt es für geflüchtete Menschen mit Behinderung oft hohe Barrieren: Sie erleben bei der Wohnungssuche häufig eine doppelte Diskriminierung aufgrund ihres Fluchthintergrunds und wegen ihrer Behinderung. Daher kann es für sie hilfreich sein, wenn Berater*innen sie bei der Wohnungssuche unterstützen.

Beantragung einer Umverteilung

Gemäß den §§ 50 und 51 AsylG kann eine landesinterne beziehungsweise länderübergreifende Umverteilung für Asylsuchende und Geduldete erfolgen. Dabei sind unter anderem „sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht“ zu berücksichtigen, zum Beispiel eine medizinisch-therapeutische Notwendigkeit. Fachärztliche Stellungnahmen sollten die Notwendigkeit belegen.

Beantragung einer Aufhebung der Wohnsitzauflage für Anerkannte:
Gemäß § 12 a Absatz 5 AufenthG ist „[z]ur Vermeidung einer Härte“ eine Wohnsitzauflage auf Antrag unter anderem dann aufzuheben, wenn „für den Betroffenen aus sonstigen Gründen vergleichbare unzumutbare Einschränkungen entstehen“. Dies kann zum Beispiel bei einer Pflegebedürftigkeit und mangelhafter Versorgung der Fall sein.

Weitere Informationen

Arbeitshilfe zum Thema Flucht und Migration

Die Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG für anerkannte Flüchtlinge: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/sozialleistungen-fluechtlinge-2019-aufl3_web.pdf

 

UNICEF

Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften: https://www.unicef.de/informieren/materialien/mindeststandards-zum-schutz-von-gefluechteten-menschen/144156

Das Asylverfahren in Deutschland und die damit einhergehenden verschiedenen Aufenthaltsstatus

Unterstützung bei der Beschaffung von Unterlagen und Nachweisen über die Behinderung/Erkrankung

Bei der Prüfung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Absatz 7 AufenthG muss eine Person eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine sogenannte qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG i. V. m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG).

Hierfür sind die Anforderungen mitunter hoch und gerade im Asylverfahren oft schwer zu erbringen.11 In jedem Fall sollten die Berater*innen klären, ob der Person bereits Stellungnahmen über die Behinderung/Erkrankung vorliegen. Handlungsleitende Fragen sind daher:

  • Liegen medizinische Dokumente aus Deutschland vor?
  • Hat die Person Unterlagen aus dem Herkunfts- oder einem Drittland mitgebracht, die in Deutschland für eine ärztliche Einschätzung genutzt werden können?
  • Gibt es in der Nähe Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung, die für eine Stellungnahme hinzugezogen werden könnten, auch wenn noch keine medizinischen Dokumente vorliegen?

Entsprechen die Stellungnahmen den formalen Voraussetzungen für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nicht, sollten sie trotzdem eingereicht werden, um dem BAMF substanzielle Hinweise auf das Vorliegen von Erkrankungen zu geben. Nicht selten fordert das BAMF dann eine ärztliche Stellungnahme an, für die die Kosten übernommen werden. Die Fristen zur Einreichung eines Attestes können oft nicht eingehalten werden, daher sollten Berater*innen deren Verlängerung beim BAMF beantragen.
Auch nach Ablauf der Frist sollten beim BAMF ärztliche Atteste vorgelegt werden.

Auf die besonderen Verfahrensgarantien aufmerksam machen

Menschen mit Behinderungen zählen gemäß Artikel 21 der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU zu den besonders schutzbedürftigen Personen. Sie benötigen sogenannte besondere Verfahrensgarantien (unter anderem Erwägungsgrund 29 und Art. 24 der EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU). Für die Anhörung kann dies bedeuten, dass die schutzbedürftige Person mehr Zeit benötigt, bevor eine Anhörung terminiert werden kann, damit sie bei der Anhörung alle wichtigen Angaben zur Begründung des Asylantrags machen kann.

Ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren nach § 30a AsylG ist für besonders Schutzbedürftige nicht zu vertreten. Daher sollte das BAMF auf die Schutzbedürftigkeit aufmerksam gemacht und auf besondere Verfahrensgarantien hingewirkt werden.

Bei Bedarf sollte zum Beispiel die Anhörung einer Sonderbeauftragten zum Beispiel für geschlechtsspezifische Gewalt oder Menschenhandel und Folteropfer durchgeführt werden. So es erforderlich ist, sollten Berater*innen frühzeitig beantragen, dass die Anhörung durch eine gleichgeschlechtliche Person (und Dolmetscher*in) erfolgt.12

Handelt es sich um die Beratung gehörloser Menschen mit Fluchthintergrund, sollte das BAMF auf die Gehörlosigkeit aufmerksam gemacht werden. Gleichzeitig sollte eine Information zur Sprache der Person erfolgen. Nach § 17 Absatz 1 AsylG ist ein „Dolmetscher […] hinzuzuziehen, der in die Muttersprache des Ausländers oder in eine andere Sprache zu übersetzen hat, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann und in der er [die anzuhörende Person] sich verständigen kann“1314.

Vorbereitung auf die Anhörung

Die eingehende Vorbereitung auf die Anhörung ist für jede Person unabdingbar, nicht zuletzt deshalb, weil die Anhörung das Kernstück eines jeden Asylverfahrens ist.

Menschen mit Behinderung sollten dabei unterstützt werden, herauszuarbeiten, ob Gründe für den Erhalt eines Schutzstatus wie der Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG aufgrund einer behinderungsspezifischen Verfolgung (Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) oder für das Vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 AufenthG gegeben sind.

Sinnvoll kann es sein, dass ein sogenannter Beistand die Anhörung begleitet, um die antragstellende Person zu unterstützen.15

Weitere Informationen

Informationsbund ASYL & MIGRATION

Information zur Anhörung: https://www.asyl.net/view/information-zur-anhoerung-im-asylverfahren/

 

Informationsbund ASYL & MIGRATION

Schutzsuchende mit besonderen Bedürfnissen: https://www.asyl.net/themen/asylrecht/asylverfahren/besonders-schutzbeduerftige/

 

sogenannte EU-Verfahrensrichtlinie

Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung): https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0060:0095:DE:PDF

Krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse mit Inlandsbezug

Duldung (§ 60a AufenthG): Unterstützung bei der Einholung einer qualifizierten ärztlichen Stellungnahme

Gemäß § 60a Absatz 2c Satz 1 AufenthG besteht die Vermutung, „dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen“. Gegenteiliges muss die betreffende Person durch Vorlage einer „qualifizierten ärztlichen Bescheinigung“ glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Welche Aspekte aus der Bescheinigung hervorgehen müssen, ist vorgegeben (§ 60a Abs. 2c S.3 und 4 AufenthG). Gerade weil die Anforderungen als hoch zu werten sind, sollten betroffene Personen bei Bedarf dabei unterstützt werden, eine solche Bescheinigung einzuholen.

Die Bescheinigung soll unverzüglich vorgelegt werden (§ 60a Abs. 2d AufenthG), da später eingereichte Atteste gemäß § 60a Absatz 2d Satz 2 AufenthG nicht mehr berücksichtigt werden sollen. Eine Abschiebung darf gemäß § 60a Absatz 2d Satz 2 AufenthG aber nicht erfolgen, wenn jemand die Atteste unverschuldet nicht einholen konnte oder wenn „anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde [vorliegen]“. Berater*innen sollten die betroffene Person dabei unterstützen, die Informationen über das Vorliegen einer Erkrankung, die einen Duldungsgrund darstellen kann, zu übermitteln, auch wenn eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung (noch) nicht vorliegt.16

Bei der Duldung gemäß. § 60b AufenthG gibt es einige Aspekte, die bei der Beratung geflüchteter Menschen mit Behinderung zu beachten sind.

Die behördliche Hinweispflicht gemäß § 60b Absatz 3 Satz 2 AufenthG muss in einer Weise umgesetzt werden, dass Hinweise für die betreffende Person verständlich sind und barrierefrei vermittelt werden. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass in Gebärdensprache gedolmetscht oder in leichter Sprache informiert werden muss. Werden Hinweise nicht verständlich vermittelt und wirkt die Person infolgedessen nicht mit, dürfen keine negative Konsequenzen erfolgen.17 Dies sollte die Person nach Bedarf mit Unterstützung des*der Berater*in gegenüber der Ausländerbehörde geltend machen.

Wenn sie dies wünscht, kann die betreffende Person dabei unterstützt werden, die Unzumutbarkeit von Mitwirkungshandlungen (zum Beispiel unbegleitete Fahrten zur Botschaft) durch ärztliche Atteste darzulegen.18

Aufenthalt aus humanitären oder persönlichen Gründen (§ 25 Abs. 4 S.1 AufenthG)

Berater*innen können die betreffende Person dabei unterstützen, nachzuweisen, dass humanitäre oder persönliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4 Satz 1 vorliegen. Dies kann zum Beispiel das Einholen einer Bescheinigung über eine medizinische Operation oder eine noch abzuschließende ärztliche Behandlung sein.

Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen einer „außergewöhnlichen Härte“ (§ 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG)

Die Darlegung einer außergewöhnlichen Härte kann die betroffene Person vor eine Herausforderung stellen. Zu beachten sind die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (AufenthG-AVV) sowie die Interpretationen des § 25 Absatz 4 Satz 2 in der Literatur. Letztere sind in bestimmten Aspekten hinsichtlich der Anforderungen an die besondere Härte weniger restriktiv als die AufenthG-AVV.19 Gegenüber der Ausländerbehörde sollte dies bedacht und die Situation der betroffenen Person mithilfe ärztlicher Nachweise dargelegt werden.

Aufenthaltserlaubnis wegen Unmöglichkeit der Ausreise (§ 25 Abs. 5 AufenthG)

Da es im Gegensatz zur Duldung (§ 60 a AufenthG) gem. § 25 Abs. 5 AufenthG auf die Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise ankommt – und nicht auf gesundheitliche Aspekte hinsichtlich einer Abschiebung, sollte die Person dabei unterstützt werden, die Unmöglichkeit der Ausreise glaubhaft darzulegen.

Weitere Informationen

Krankheit als Abschiebungshindernis

Anforderung an die Darlegung von Abschiebungshindernissen aufgrund von Krankheit im Asyl- und Aufenthaltsrecht: https://www.asyl.net/view/detail/News/broschuere-krankheit-als-abschiebungshindernis-neuauflage-2020/

 

Das Migrationspaket und seine Folgen für Menschen mit Behinderung

Auswirkungen des Migrationspakets auf Geflüchtete mit einer Behinderung: https://handicap-international.de/sn_uploads/de/document/Folgen_des_Migrationspaketes_fur_Menschen_mit_Behinderung.pdf

Durchsetzung des Rechts auf Leistungen

Vor dem Hintergrund der komplexen Rechtlage bei Überschneidungen von Sozial-, Aufenthalts- und Asylrecht kommt es in der Praxis oft vor, dass Migrant*innen Schwierigkeiten haben, ihre Ansprüche auf Sozialleistungen durchzusetzen. Häufig werden sie abgewiesen, weil Beratungsstellen, oder von Amts wegen zuständige Stellen beziehungsweise Leistungsträger überfordert sind. Insbesondere Personen mit einer Aufenthaltsgestattung oder mit einer Duldung wird häufig mitgeteilt, dass sie wegen ihres Aufenthaltspapieres keine Ansprüche hätten, was in vielen Fällen nicht zutrifft. Demzufolge werden Anträge häufig gar nicht erst entgegen genommen beziehungsweise abgelehnt.

Hier finden Sie Antworten auf Fragen, die für die Antragsvorbereitung relevant sind und Handlungsoptionen, um die Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen.

Weiterführende Links

Kompetenznetz Public Health COVID‐19

SARS‐CoV‐2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete: https://pub.uni-bielefeld.de/download/2943665/2943668/FactSheet_PHNetwork-Covid19_Aufnahmeeinrichtungen_v1_inkl_ANNEX.pdf

 

Appell von Handicap International

Geflüchtete Menschen mit Behinderung vor Corona schützen – Infektionsrisiken senken:
https://handicap-international.de/sn_uploads/de/document/Gefluchtete_Menschen_mit_Behinderung_vor_Corona_schutzen_-_Infektionsrisiken_senken.pdf

 

Appell von Handicap International

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen bedarfsgerecht unterbringen. Schutzbedarfe identifizieren:
https://handicap-international.de/de/appell-gefluchtete-mit-behinderung-mussen-bedarfsgerecht-untergebracht-werden

 

Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates

Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung):
https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:180:0096:0116:DE:PDF

 

Robert-Koch-Institut

Hinweise zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete:
https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2020/06/2020-05-07-RKI-Hinweise_COVID-19_in_Unterk%C3%BCnften.pdf

Fußnoten

  1. Die Handlungsoptionen beziehen sich nicht auf die Durchsetzung der Rechte durch Klagen und Eilverfahren. Diese können in Zusammenarbeit mit Rechtsanwält*innen dennoch durchaus sinnvoll sein.
  2. Die Richtlinie bezieht sich auf Personen, die internationalen Schutz beantragt haben und deren Antrag noch nicht rechtskräftig abgelehnt worden ist.
  3. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung.
  4. Übereinkommen über die Rechte des Kindes.
  5. HI (2020), Geflüchtete Menschen mit Behinderung vor Corona schützen – Infektionsrisiken senken, S. 1 ff., https://handicap-international.de/sn_uploads/de/document/Gefluchtete_Menschen_mit_Behinderung_vor_Corona_schutzen_-_Infektionsrisiken_senken.pdf (abgerufen am 23.11.2020).
  6. Weiser (2019): Das Migrationspaket und seine Folgen für Menschen mit Behinderung. Handicap International (Hg.), S. 5, https://handicap-international.de/sn_uploads/de/document/Folgen_des_Migrationspaketes_fur_Menschen_mit_Behinderung.pdf (abgerufen am 28.11.2020).
  7. Flüchtlingsrat NRW: Kommunale Unterbringungskonzepte. Unterbringungskonzepte mit Mindeststandards, https://www.frnrw.de/themen-a-z/unterbringung-von-fluechtlingen/unterbringung-in-den-kommunen/kommunale-unterbringungskonzepte-und-standards/unterbringungskonzepte-mit-mindeststandards.html.
  8. BMFSFJ, UNICEF (2018): Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften https://www.unicef.de/informieren/materialien/mindeststandards-zum-schutz-von-gefluechteten-menschen/144156 (abgerufen am 28.11.2020).
  9. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung.
  10. Hierbei ist für asylsuchende Personen ebenso die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU anzuwenden.
  11. Weitere Informationen zur qualifizierten ärztlichen Bescheinigung in: Deutsches Rotes Kreuz e. V. und Informationsverbund ASYL & MIGRATION e. V. (2020) (Hg.): Krankheit als Abschiebungshindernis. Anforderung an die Darlegung von Abschiebungshindernissen aufgrund von Krankheit im Asyl- und Aufenthaltsrecht, https://www.asyl.net/view/detail/News/broschuere-krankheit-als-abschiebungshindernis-neuauflage-2020/, insbesondere S.15 ff., S. 27 ff., S. 55.
  12. Zu beachten ist auch Artikel 15 Absatz 3 Buchstabe a und b EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU.
  13. Einzuhalten ist darüber hinaus § 9 Absatz 1 BGG: „(1) Menschen mit Hörbehinderungen und Menschen mit Sprachbehinderungen haben nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach Absatz 2 das Recht, mit Trägern öffentlicher Gewalt zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren.“
  14. Einige Gehörlosenverbände wie der Gehörlosenverband in Hamburg haben speziell für gehörlose geflüchtete Menschen Unterstützungsstrukturen aufgebaut: https://www.glvhh.de/unsere-angebote/selbsthilfe-gruppen/deaf-refugees/ (abgerufen am 27.11.2020). Für die Kommunikation mit gehörlosen Klient*innen empfiehlt es sich, eine Hörbehindertenberatungsstelle zu kontaktieren.
  15. Für weitere Informationen siehe Flüchtlingsrat Niedersachsen (2016): Juristische Abhandlung zum Thema „Anhörung im Asylverfahren – Anwesenheit eines Beistands“ mit Verweis auf die einschlägigen Rechtsgrundlagen, https://www.nds-fluerat.org/21440/aktuelles/bmi-bestaetigt-beistaende-im-asylverfahren-haben-anwesenheits-und-fragerecht/attachment/beistand-anhoerung-161025-fr/ (abgerufen am 28.11.2020)
  16. Weitere Informationen zur qualifizierten ärztlichen Bescheinigung in: Deutsches Rotes Kreuz e. V. und Informationsverbund ASYL & MIGRATION e. V. (2020) (Hg.): Krankheit als Abschiebungshindernis. Anforderung an die Darlegung von Abschiebungshindernissen aufgrund von Krankheit im Asyl- und Aufenthaltsrecht, https://www.asyl.net/view/detail/News/broschuere-krankheit-als-abschiebungshindernis-neuauflage-2020/, insbesondere S. 48 ff.
  17. Weiser (2019): Das Migrationspaket und seine Folgen für Menschen mit Behinderung. Handicap International (Hg.), S. 8 f., https://handicap-international.de/sn_uploads/de/document/Folgen_des_Migrationspaketes_fur_Menschen_mit_Behinderung.pdf, (abgerufen am 28.11.2020).
  18. Ebd.
  19. Ebd. S. 8.

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